Die Provenienzforschung widmet sich der Erforschung der Herkunft (Provenienz) von Kulturgütern in Museen, Archiven, Bibliotheken sowie im Kunst- und Antiquitätenhandel. Sie ist eine junge Disziplin der Geisteswissenschaften. Ziel ist, jedem Exponat aus der Sammlung alle vormaligen Besitzer lückenlos zuzuordnen. Die Erforschung früherer Besitzverhältnisse dient auch der Bestätigung der Originalität von Kulturgütern und kann darüber hinaus zu deren Wertsteigerung beitragen.
Besonders herausfordernd ist für die Provenienzforschung die Zeit des Nationalsozialismus, in welcher Kunst- und Kulturgüter ebenso wie Ritualgegenstände unrechtmäßig jüdischen Gemeinden und jüdischen Besitzer*innen entzogen wurden. Europaweit wurden durch die Nationalsozialisten Judaika beschlagnahmt und in das Deutsche Reich abtransportiert und in vielen Fällen bis heute nicht an die Nachfahr*innen restituiert.
Für uns bedeutet dies, die Sammlungsbestände auf Fragen ungeklärter Provenienz zu untersuchen und entzogenes jüdisches Eigentum gemäß der Washingtoner Prinzipien an die rechtmäßigen Besitzer*innen zu restituieren. Wir sehen es als unsere Pflicht, die Ergebnisse der Provenienzforschung der Öffentlichkeit zu vermitteln und so zu einer transparenten Erforschung nationalsozialistischen Unrechts beizutragen.
Provenienzforschung an ausgewählten Silber- & Textil-Judaica
Sammlungsschwerpunkte des JMAS sind sowohl Alltagsgegenstände, die die soziokulturelle Entwicklung der jüdischen Bevölkerung erzählen, als auch Zeremonialgegenstände aus Silber und Textil, wie etwa Tora-Schmuck und Tora-Vorhänge sowie Objekte für den häuslichen Ritus. Ihre Herkunft wird seit 2021 im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste und der Landesstelle für die nichtstaatliche Museen Bayern geförderten Projekts erforscht.
Den Grundstock der Ritualgegenstände in der Sammlung bilden Objekte aus der Region Bayerisch-Schwaben, die in den 1980er Jahren als Übergabe der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg (IKG) an das JMAS gekommen sein sollen. Ihre Herkunft ist wahrscheinlich sehr unterschiedlich: Ein Teil dürfte im Zuge der Auflösung kleinerer jüdischer Landgemeinden noch vor 1933 in den Besitz der Augsburger Kultusgemeinde gelangt sein, andere sollen ihr nach 1945 als Rechtsnachfolgerin der zerstörten Gemeinden in der Region übereignet worden sein. Tatsächlich ist die Provenienz jedoch bei vielen Objekten nicht geklärt. So fehlen bei einem Großteil des Bestands genaue Kenntnisse über die Besitzverhältnisse sowohl in der unmittelbaren Vorkriegszeit als auch während des Nationalsozialismus. Ursachen dafür sind die fast vollständige Zerstörung des Gemeindearchivs der IKG durch die Gestapo sowie die Vernichtung oder das Verschwinden der Gemeindearchive der meisten jüdischen Landgemeinden in der NS-Zeit.
Nach einer ersten Bestandsaufnahme konnten 160 Objekte aus dem Bereich der Silber- und Textil-Judaica ausgemacht werden, deren Provenienz erhebliche Lücken aufweist. Daher gilt es die Herkunft des ausgewählten Bestandes systematisch zu prüfen, die Geschichte und Eigentumsverhältnisse insbesondere in der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu recherchieren und möglichst lückenlos zu dokumentieren.
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Die Geschichte eines bayerisch-schwäbischen Tora-Schilds aus dem 18. Jahrhundert
Wie kommt ein Objekt ins Museum? Wer hat es vorher besessen und welche Geschichte(n) erzählt uns die Herkunft eines Objekts? Diese Fragen zu klären ist Aufgabe der Provenienzforschung. Anhand eines Tora-Schilds aus der Sammlung wird exemplarisch gezeigt, wie dabei vorgegangen wird und welche aufschlussreichen Erkentnisse dabei hervorkommen können.
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