Herkunft

Walter Jacobs Mutter Annette Loewenberg (1902 – 1974) kam in Hamburg zur Welt. Sie arbeitete dort als Lehrerin an einem Gymnasium. Sein Vater, Ernst Jacob (1899 – 1974), wurde in Göttingen in eine traditionsreiche Rabbinerfamilie geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg studierte er in Bonn, Breslau (heute Wrocław, Polen) sowie Berlin und wurde 1921 ebenfalls zum Rabbiner ordiniert. In Saarbrücken erhielt er 1925 sein erstes Rabbinat.

Die Eltern heirateten 1929 in Hamburg. Im selben Jahr zog das junge Paar von Saarbrücken nach Augsburg, da Ernst Jacob das dortige Rabbinat übernahm. Hier kamen am 13. März 1930 Walter Jacob und am 10. Februar 1933 sein Bruder Herbert Jacob zur Welt. Ernst und Annette Jacob hatten sich schnell in der Stadt eingelebt. Kontakte pflegten sie zu jüdischen wie nichtjüdischen Augsburger*innen.

Leben in der NS-Zeit

Die Eltern versuchten, ihre Söhne sorgenfrei und unbeschwert aufwachsen zu lassen. Als antisemitische Propaganda und Übergriffe auf Jüdinnen und Juden 1933 alltäglich wurden, erwies es sich als Vorteil, dass sie in einem Nebengebäude der Synagoge in der Halderstraße wohnten. Dort besuchte Walter Jacob den Kindergarten von Gertrud Dann (1908 – 1998), der Tochter des Synagogenkommissars Albert Dann (1868 – 1960).

Walter Jacob (v. r.) mit seinen Eltern und seinem Bruder bei einem Ausflug, um 1937; © JMAS/Sammlung Walter Jacob

Vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten gingen jüdische Kinder in Augsburg selbstverständlich in die allgemeinen Schulen. Als Walter Jacob in die Schule kam, hatte sich die Situation vollkommen geändert. Die jüdischen Schüler*innen waren in den Schulen mit nationalsozialistisch eingestellten Lehrer*innen sowie Klassenkamerad*innen konfrontiert. Unter diesen Umständen sah sich die jüdische Gemeinde gezwungen, 1936 eine eigene Schule einzurichten.

Auch Walter Jacob nahm am Unterricht teil, den der Volksschullehrer Fritz Levy (1911 – 1992) für alle Klassenstufen gleichzeitig hielt. Am frühen Morgen des 10. November 1938 drangen auch in Augsburg Nationalsozialisten in die Synagoge ein, legten Feuer und verhafteten Walter Jacobs Vater. Wegen der Gefahr für die umliegenden Häuser von Nichtjüdinnen und Nichtjuden wurde der Brand wieder gelöscht. Rabbiner Ernst Jacob wurde in das Gerichtsgefängnis in der Karmelitengasse gebracht und einige Tage später in das KZ Dachau transportiert.

Weg in die Emigration

Ernst und Annette Jacob hatten sich bereits vor dem Novemberpogrom für die Auswanderung in die USA entschieden. Die erforderliche Bürgschaft stellten Verwandte. Kurz nach dem Pogrom fuhr Annette Jacob zum Konsulat nach Stuttgart, um das Visum abzuholen. Doch die damit verbundene Ausreisenummer war hoch, so dass die Jacobs bis zur Ausreise lange hätten warten müssen.

Am 10. Dezember 1938 kehrte Ernst Jacob aus dem KZ Dachau zurück. Mit Hilfe des britischen Oberrabbiners Joseph Herz (1872 – 1946) gelang die Ausreise nach England, ohne auf die Quotenummer warten zu müssen. Am 20. Februar 1939 meldete sich Ernst Jacob in Augsburg ab und ging nach London. Seine Frau folgte ihm mit den Kindern im März. Nach zehn Monaten kam das lang erwartete Visum, und die Familie konnte in die USA ausreisen.

Leben in den USA

Die Familie Jacob kam am 3. Januar 1940 in New York an. Wie alle Emigranten musste Ernst/Ernest Jacob nun nach einer Verdienstmöglichkeit suchen. Im Juni 1940 erhielt er in St. Joseph im Bundesstaat Missouri eine Anstellung bei einer orthodoxen jüdischen Gemeinde.

Walter Jacob (hinten) mit Mutter und Bruder in den USA, um 1942;
© JMAS/Sammlung Walter Jacob

Seit Februar 1943 war er Rabbiner des Temple Israel in Springfield, Missouri. Zusätzlich zu seinem Rabbinat erhielt er 1947 eine Professur für Geschichte an der dortigen kirchlichen Universität, dem Drury College. Er führte eine umfangreiche Korrespondenz mit seinen ehemaligen Augsburger Gemeindemitgliedern.

Von 1941 bis 1949 schrieb er insgesamt 18 Rundbriefe, die hundertfach vervielfältigt wurden und sich zu einer Informationsbörse für die Augsburger Emigrant*innen entwickelten. Walter und Herbert Jacob lebten sich rasch in der neuen Umgebung ein. 1958 heiratete Walter Jacob die aus Hamburg stammende Irene Loewenthal (1928 – 2012). Das Paar bekam drei Kinder: Claire (1959 – 1975), Kenneth (1962 – 1999) und Daniel (geb. 1966).

Beruflicher Werdegang

Walter Jacob wurde ebenfalls Rabbiner. Zwischen 1955 und 1957 arbeitete er als Militärrabbiner bei der US Air Force. 1957 erhielt er eine Anstellung bei der Rodef Shalom Congregation in Pittsburgh, Pennsylvania. Dort begann er als Assistenzrabbiner von Dr. Solomon B. Freehof (1892 – 1990) und übernahm 1968 dessen Amt als leitender Gemeinderabbiner, das er 40 Jahre lang ausübte. Am Hebrew Union College in Cincinnati wurde er 1961 promoviert und war seit 1968 Professor am Pittsburgh Theological Seminary. Als zeitweiliger Präsident der Zentralkonferenz US-amerikanischer Rabbiner und Vizepräsident der Weltunion des progressiven Judentums nahm Walter Jacob eine führende Position unter den amerikanischen Rabbinern und eine zentrale Rolle im Reformjudentum ein.

Als am 1. September 1985 die Augsburger Synagoge wieder eingeweiht wurde, entzündete Walter Jacob das Ewige Licht und erinnerte in seiner Rede an die Erbauergemeinde. Seitdem besuchte er Augsburg immer wieder. 2006 sprach er im Goldenen Saal anlässlich der Wiedereröffnung des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben, und beim 75. Jahrestag des Novemberpogroms hielt er 2013 in der Synagoge eine Ansprache. Mitte der 1990er Jahre begann Walter Jacob, sich für ein Wiederaufleben des liberalen Judentums in Deutschland einzusetzen. 1997 übernahm er das Amt des Oberrabbiners der 1989 gegründeten liberalen Gemeinde Beth Shalom in München. 1999 war er Mitbegründer und zeitweise Präsident des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam. Walter Jacob starb 2024.

 

Zeitzeuge bei den LEBENSLINIEN

Walter Jacob war 2008 im Zeitzeugenprojekt »LEBENSLINIEN. Deutsch-jüdische Familiengeschichten« zu Gast. Zu seiner Lebens- und Familiengeschichte erschien in der gleichnamigen Reihe der Katalog:

Benigna Schönhagen, »Wir denken voll Wehmut zurueck.« Der Weg der Familie Jacob aus Augsburg, Augsburg 2015.

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