Familie

Liese Fischer, geb. Einstein, wurde am 26. Februar 1925 in Augsburg geboren. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten ihre Vorfahren in Kriegshaber, seit 1916 ein Stadtteil von Augsburg. Ihr Vater Moriz Einstein (1886 – 1943) hatte sechs Brüder, die mit ihren Familien seit Ende des 19. Jahrhunderts alle in der Ulmer Straße lebten. Er führte zusammen mit fünf seiner sechs Brüder die Zucht- und Schlachtviehhandlung »Gebrüder Einstein«, eine der führenden Viehhandlungen in Schwaben. Liese Einsteins Mutter war Lydia Einstein, geb. Seligmann (1900–1943). Die Familie führte ein traditionell jüdisches Leben.

Liese Einstein und ihr Bruder Siegbert, der am 27. Januar 1924 zur Welt kam, wuchsen in der Ulmer Straße 185 auf und besuchten die Grundschule in Kriegshaber. Die Eltern engagierten sich für die jüdische Gemeinschaft sowie in nicht-jüdischen Vereinen und sozialen Einrichtungen.

Leben in der NS-Zeit

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedrohte die Familie nicht sofort in ihrer Existenz. Da viele Landwirte ihre bewährten Geschäfte mit jüdischen Viehhändlern zunächst nicht aufgeben wollten, konnten die Einstein-Brüder ihren Viehhandel vorerst fortsetzen. Jedoch mussten sie im Laufe der Jahre immer größere Umsatzeinbußen hinnehmen.

Nach dem Novemberpogrom 1938 durfte Liese Einstein nicht mehr auf die Maria-Theresia-Schule gehen, die sie nach der Grundschule besuchte. Auch ihr Bruder musste seine Schule verlassen. Sie gingen fortan auf die eigens eingerichtete jüdische Schule in der Synagoge in der Augsburger Halderstraße.

Erst durch die immer schärfere Diskriminierung nach dem Novemberpogrom 1938 wurde Liese Fischers Eltern die Gefahr bewusst, weshalb sie sich nun bemühten, aus Deutschland zu emigrieren. Als sie erkannten, dass es kein Land gab, das sie als ganze Familie aufnahm, entschlossen sie sich, wenigstens ihre Kinder mit einem »Kindertransport« nach England in Sicherheit zu bringen.

Abschiedsfoto von Siegbert, Liese, Lydia und Moriz Einstein (v. l.) mit Heinrich Einstein (hinten), Juli 1939; © JMAS/Sammlung Liese Fischer

»Kindertransport« und Leben in Großbritannien

Nach der Ankunft in England im Juli 1939 kamen Liese Fischer und ihr Bruder zunächst in ein Heim für Flüchtlinge. Kontakt zu ihren Eltern hatten sie nur noch über Briefe. Anfang 1940 starb Lieses Bruder Siegbert Einstein völlig unerwartet an einer Herzentzündung. Ihre Cousinen Beate und Brunhilde Einstein, die ebenfalls nach England emigriert waren, halfen ihr, mit der neuen Situation zurechtzukommen.

Seit ihrem 16. Geburtstag musste sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Zunächst arbeitete Liese Fischer zwei Jahre als Haushaltshilfe, bevor sie mit 18 Jahren eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester begann. Es war für sie schwierig, ihre Eltern in zunehmender  Bedrohung zu wissen, ohne ihre genauen Lebensbedingungen zu kennen. Seit dem Frühjahr 1943 erhielt sie von ihnen keinerlei Nachrichten mehr.

Deportationen der Eltern

Die Eltern Moriz und Lydia Einstein konnten nicht aus Deutschland flüchten. Der Vater musste seit Anfang 1940 Zwangsarbeit leisten, die Mutter ab Februar 1942. Im Frühjahr 1942 wurden vier Familienmitglieder in das Transitghetto Piaski bei Lublin deportiert, wo sie alle ums Leben kamen. Kurz darauf mussten Liese Einsteins Eltern ihr Wohnhaus verkaufen und kamen zwangsweise in ein Ghettohaus, in dem sehr beengte Verhältnisse herrschten. Im März 1943 wurden sie und die beiden anderen Einstein-Paare, die noch in Kriegshaber gelebt hatten, nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Leben in den USA

Liese Einstein und Irene Mendle im Urlaub in Bradfort, August 1946; © JMAS/Sammlung Liese Fischer

Nach Kriegsende musste Liese Fischer erfahren, dass ihre Eltern und alle in Kriegshaber gebliebenen Verwandten umgekommen waren. Sie entschied sich, in die USA zu gehen und bei den Verwandten ihrer Mutter zu leben. In New York lebte und arbeitete sie als Krankenschwester.

1954 heiratete sie Harry Fischer, der aus Breslau (heute Wrocław, Polen) stammte, und bekam mit ihm eine Tochter und einen Sohn. Liese Fischer starb 2019.

 

 

 

 

 

 

Zeitzeugin bei den LEBENSLINIEN

Liese Fischer war 2012 im Zeitzeugenprojekt »LEBENSLINIEN. Deutsch-jüdische Familiengeschichten« zu Gast. Zu ihrer Lebens- und Familiengeschichte erschien in der gleichnamigen Reihe der Katalog:

Monika Müller, »Es ist ein hartes Los, das uns getroffen hat.« Der Weg der Familie Einstein aus Augsburg-Kriegshaber, Augsburg 2012.

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