Familie und Herkunft

Helmut Hartmann wurde am 25. Oktober 1929 in eine angesehene Augsburger Unternehmerfamilie hineingeboren. Sein Vater Karl Hartmann (1891 – 1957) war zusammen mit seinem Bruder Herbert in den 1920er Jahren Teilhaber der Papiergroßhandlung »Hartmann & Mittler« geworden, die von ihrem Großvater im 19. Jahrhundert gegründet worden war.

1923 heiratete Karl Hartmann die aus Frankfurt am Main stammende Nelly Hohenemser (1902 – 2008). Das Paar wurde protestantisch getraut. Dass die Eltern der Braut vom Judentum zum evangelischen Glauben konvertiert waren, spielte bei der Hochzeit keine Rolle. Karl und Nelly Hartmann zogen in die Bahnhofstraße 28, wo Helmut mit seinen beiden älteren Brüdern Alfred (1925) und Günther (1926 – 2024) aufwuchs.

Kindheit und Schulzeit unter dem NS-Regime

Die Nationalsozialisten betrachteten Helmut Hartmanns Mutter aufgrund ihrer Herkunft als Jüdin. Dies hatte zur Folge, dass er und seine Brüder als »Mischlinge 1. Grades« galten, obwohl sie evangelisch erzogen wurden. Zu Beginn der NS-Zeit war innerhalb des Regimes noch umstritten, wie mit Jüdinnen und Juden, die in »Mischehen« lebten, und deren Kindern umgegangen werden sollte. Es gab widersprüchliche Entscheidungen, die hin und wieder Freiräume für die Bedrängten schufen.

Alfred, Helmut und Günther Hartmann, um 1936; © JMAS/Sammlung Helmut Hartmann

Karl Hartmann versuchte, diese Freiräume zum Schutz seiner Frau und seiner Kinder zu nutzen. So trat er 1933 in die NSDAP ein, obwohl er die Judenfeindschaft der Partei ablehnte. Da ihm die Parteigenoss*innen immer wieder nahelegten, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, trat er 1936 wieder aus der NSDAP aus, um einem offiziellen Parteiausschluss zuvorzukommen. Die Gefährdung seiner Familie zwang ihn zu einem paradoxen Verhalten: Er bemühte sich, die regionalen Parteiführer für sich einzunehmen und spendete z. B. an verschiedene Parteiorganisationen.

Nelly Hartmann zog sich unterdessen immer weiter aus dem öffentlichen Leben zurück. Bereits 1934 hatte sie den Tod ihres Vaters, Robert Hohenemser, verkraften müssen, der sich nach einem Verhör durch die Gestapo das Leben genommen hatte. Ihre anderen Angehörigen konnten sich ins Ausland retten, verloren dabei aber den größten Teil ihres Vermögens. Karl Hartmann unternahm wiederholt Versuche, seine Frau und die Kinder vor den sich verschärfenden Gewaltmaßnahmen des NS-Regimes zu schützen – jedoch ohne Erfolg.

Auch Helmut Hartmann bekam am eigenen Leib zu spüren, dass er nicht mehr dazugehörte. War seine Zeit an der St.-Anna-Grundschule noch positiv, musste er nach dem Wechsel an das Realgymnasium, dem heutigen Peutinger-Gymnasium, immer wieder Gehässigkeiten seiner Klassenkameraden ertragen.

Fortschreitende Bedrohung

Im September 1942 beschloss das NS-Regime, dass »jüdische Mischlinge 1. Grades« keine weiterführenden Schulen mehr besuchen durften. Alfred Hartmann fand danach eine Anstellung bei einer befreundeten Firma, Günther Hartmann im Unternehmen des Vaters.

Nachdem sein Elternhaus in der Bahnhofstraße bei dem großen Luftangriff auf Augsburg im Februar 1944 zerstört worden war, zog Helmut Hartmann mit seiner Mutter in deren Haus in Riederau am Ammersee. Von dort aus besuchte er die Schule in Weilheim, die er aber bald verlassen musste. Nach dem Schulausschluss fand er eine Anstellung als »Praktikant« in einer Druckerei, da eine offizielle Lehre für »jüdische Mischlinge« verboten war.

Im selben Jahr erhielt Nelly Hartmann die Aufforderung zur Deportation. Dank einer Bekannten, die als Sekretärin bei der Gestapo arbeitete, wurde sie jedoch vor dem Abtransport bewahrt. Die Bekannte sorgte dafür, dass ihr Name von der Liste gestrichen wurde. Nelly Hartmann wurde stattdessen zur Zwangsarbeit verpflichtet. Helmut Hartmanns Brüder mussten ebenfalls Zwangsarbeit für die »Organisation Todt« leisten.

Neubeginn und Wiederaufbau nach dem Krieg

Helmut Hartmann erlebte das Kriegsende in Riederau am Ammersee. Kurz nach der Befreiung kehrten auch seine Brüder unversehrt zur Familie zurück. Der Vater begann, das Familienunternehmen wieder aufzubauen. Helmut wurde nach Basel geschickt, um dort seinen Schulabschluss zu machen. Nach bestandenem Abitur nahm er im Gegensatz zu seinen Brüdern kein Studium auf, sondern trat im Herbst 1948 als Lehrling bei »Hartmann & Mittler« ein.

Kurz nach seiner Rückkehr nach Augsburg konnte die Familie in das wieder errichtete Elternhaus in der Bahnhofstraße einziehen. Im Familienbetrieb durchlief Helmut Hartmann nach und nach die verschiedenen Abteilungen. Seine Brüder waren ebenfalls im Unternehmen tätig, als die Firmenleitung 1957 nach dem Tod ihres Vaters und des Onkels Herbert Hartmann endgültig auf Helmut, Alfred und Günther überging. Nelly Hartmann lebte nach dem Tod ihres Mannes dreißig Jahre in München und kehrte schließlich nach Augsburg zurück, wo sie 2008 starb.

Die Familie Hartmann nach Kriegsende, 1945; © JMAS/Sammlung Helmut Hartmann

1964 trennten sich die beruflichen Wege der Hartmann-Brüder: Alfred Hartmann leitete die Filiale in Nürnberg nun als eigenständigen Betrieb, während Helmut und Günther Hartmann die Geschicke in der Augsburger Firma gemeinsam lenkten. 1967 lernte Helmut Hartmann Marianne Brüstle (geb. 1942) aus München kennen, die er noch im selben Jahr heiratete. Das Paar bekam drei Kinder: Bettina (1968), Judith (1970) und Nick (1971).

Ab 1987 führte Helmut Hartmann die Firma »Hartmann & Mittler« allein, während sein Bruder Günther die Leitung von »iba-Plastik und Karton« übernahm. Mit großem Engagement setzte sich Helmut Hartmann auch für die Interessen seiner Branche ein. Als Präsident des Landesverbands des Bayerischen Groß- und Außenhandels war er von 1990 bis 1995 auch Mitglied des Bayerischen Senats.

Interkulturelles Engagement

Anfang der neunziger Jahre verkaufte Helmut Hartmann das Familienunternehmen und engagierte sich fortan noch stärker für soziale Initiativen. Die rassistischen Ausschreitungen gegen Asylbewerberheime und die Brandanschläge auf Wohnhäuser türkischer Familien 1992/93 riefen in ihm die Furcht wach, dass sich im Umgang mit Ausländer*innen und Muslim*innen die Diskriminierung und Verfolgung wiederholen könnten, die er in jungen Jahren selbst erlebt hatte. 1995 gründete er mit Freund*innen deshalb den Verein »Forum interkulturelles Leben und Lernen« (FiLL), der einen nachhaltigen Beitrag zur Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft leisten soll.

In Anerkennung seiner Verdienste erhielt Helmut Hartmann zahlreiche Ehrungen, darunter den Bayerischen Verdienstorden und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Für sein Engagement als Vermittler zwischen den Kulturen wurde er 2003 auch mit dem renommierten Friedenspreis der Stadt Augsburg ausgezeichnet.

 

Zeitzeuge bei den LEBENSLINIEN

2014 war Helmut Hartmann im Zeitzeugenprojekt »LEBENSLINIEN. Deutsch-jüdische Familiengeschichten« zu Gast.Zu seiner Lebens- und Familiengeschichte erschien in der gleichnamigen Reihe der Katalog:

Benigna Schönhagen, »Glücklich wieder vereint«. Der Weg der Familie Hartmann aus Augsburg, Augsburg 2014.

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