Herkunft
Günter Sturm wurde als drittes Kind des Kaufmanns Max Sturm (1884 – 1970) und dessen Ehefrau Anna, geb. Steinfeld (1891 – 1943), am 13. März 1930 in Augsburg geboren. Er hatte zwei ältere Geschwister, Walter (1920 – 1989) und Ilse Henriette Sturm (1922 – 2001). Die Familie lebte in der Bahnhofstraße 18 1/5. Dort hatte Günters Großvater Hugo Steinfeld (1864 – 1941) 1896 zusammen mit seinem Kompagnon Jakob Wimpfheimer ein Geschäfts- und Wohnhaus errichtet und das Textilunternehmen »Wimpfheimer & Cie« eröffnet. Günters Vater wurde nach dem Ersten Weltkrieg Teilhaber des Unternehmens.

Die Familie Sturm führte ein säkulares Leben, war aber dennoch Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde. Günter ging in den interkonfessionellen Kindergarten, den Gertrud Dann (1908 – 1998), eine Tochter des Synagogenvorstehers, bis zur NS-Zeit in der Hochfeldstraße führte. Nach der Machtübernahme zwangen sie die Nationalsozialisten, den Kindergarten in den Synagogenkomplex in der Halderstraße zu verlegen und verboten ihr auch, weiter nichtjüdische Kinder zu betreuen.
Als Günter Sturm 1936 eingeschult werden sollte, wurden Jüdinnen und Juden bereits nicht mehr an öffentlichen Schulen aufgenommen. Stattdessen kam er in die einklassige Schule, die die jüdische Gemeinde im Synagogengebäude eingerichtet hatte. Der Lehrer unterrichtete alle Fächer, der Schwerpunkt lag jedoch auf Hebräisch und Bibelkunde. Neben der Familie bildeten Klassenkamerad*innen den sozialen Mittelpunkt von Günters Leben. Kontakt zu gleichaltrigen nichtjüdischen Kindern hatte er praktisch nicht mehr.
Weg in die Emigration
Am Morgen des 10. November 1938 musste Günter Sturm die Verhaftung seines Vaters und seines Bruders miterleben. Max Sturm wurde danach im Gefängnis »Am Katzenstadel« gefangen gehalten. Walter Sturm wurde in das KZ Dachau gebracht. Nach der Freilassung der beiden gelang es der Familie aus Deutschland zu emigrieren. Walter Sturm verließ Augsburg im Januar 1939 in Richtung London. Ilse Sturm konnte kurze Zeit später nach Brighton ausreisen.
Ende Oktober 1939 konnten Günter Sturm und seine Eltern mit einem Schiff von Antwerpen nach New York aufbrechen. Die erforderliche Bürgschaft hatte ein Onkel der Mutter übernommen. Die Abreise in die USA ist Günter nicht nur als Moment voller Hoffnung in Erinnerung geblieben. Er ist auch untrennbar mit dem Abschied von seinem Großvater Hugo Steinfeld verbunden, dem er sehr nahestand. Ihre letzte Begegnung hat sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt.
Am 10. November 1939 kamen Günter und seine Eltern in New York an. Anfang 1940 folgten Walter und Ilse. Die Familie zog in eine Wohnung im Stadtteil Washington Heights, in dem viele deutschsprachige Jüdinnen und Juden Zuflucht fanden.
Leben in den USA
Günter Sturm konnte in den USA schnell in die Schule gehen. Ihm fiel die Anpassung an die neue Umgebung leicht. Die neue Sprache lernte er ohne Schwierigkeiten. Da es den Amerikaner*innen schwerfiel, seinen deutschen Namen richtig auszusprechen, nannte er sich bald George. Mit der Einbürgerung wurde dies später auch sein offizieller Vorname.

Am 23. November 1943 verlor George Sturm völlig unerwartet seine Mutter. Anna Sturm starb an einer Gehirnblutung. George, sein Vater und seine Geschwister führten ihren plötzlichen Tod darauf zurück, dass sie einen Tag zuvor vom Suizid ihrer Zwillingsschwester Hedwig und ihres Schwagers Paul Englaender in Augsburg erfahren hatte. Das Ehepaar hatte sich im März 1943 entschieden, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, nachdem es den Deportationsbescheid erhalten hatte. George Sturm lebte nach dem Tod seiner Mutter mit seinem Vater und seiner Schwester in Washington Heights. Sein Bruder Walter kämpfte als Soldat der US-Armee bis Mai 1945 in Europa.
Beruflicher Werdegang
Nach dem Schulabschluss studierte George Sturm am Queens College und an der Universität Princeton Musik. Bald nach seiner Hochzeit mit Rhoda Terk (1935-2018) ermöglichte ihm 1955 ein Fulbright-Stipendium nach Florenz zu gehen, um sich im Fach Komposition weiterzubilden. George Sturm zog daraufhin mit seiner Frau für zwei Jahre nach Europa. In dieser Zeit kam er zum ersten Mal seit seiner Flucht wieder in seine Geburtsstadt, was gemischte Gefühle in ihm auslöste. Dennoch besuchte er Augsburg in den folgenden Jahren immer wieder.
Nach seiner Rückkehr in die USA arbeitete George Sturm zunächst bei einem Musikverlag in New York, bis er 1980 seine eigene Musikagentur »Music Associates of America« gründete.
Familie
Mit seiner ersten Frau Rhoda bekam George Sturm zwei Söhne, 1960 Peter Lewis und 1963 David Michael. Seine zweite Frau Johanna Idzenga (1953–2022) brachte 1987 seinen dritten Sohn Max Deryck zur Welt. Um das Andenken an seine Vorfahren zu bewahren, hat George Sturm 2003 die Geschichte seiner Familie für seine Söhne aufgeschrieben. George Sturm lebt heute in Englewood, New Jersey.
Zeitzeuge bei den LEBENSLINIEN
2010 war George Sturm im Zeitzeugenprojekt „LEBENSLINIEN. Deutsch-jüdische Familiengeschichten“ zu Gast. Zu seiner Lebens- und Familiengeschichte erschien in der gleichnamigen Reihe der Katalog:
Souzana Hazan, „…dieser schönen Welt Lebewohl sagen.“ Der Weg der Familie Sturm aus Augsburg, Augsburg 2010.
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George Sturm – Veränderungen nach 1933
George Sturm schildert, wie jüdische Kinder und Jugendliche die Situation nach 1933 wahrnahmen und welche antisemitischen Erfahrungen er selbst in Augsburg machte.
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George Sturm – Pogromnacht und Folgen
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