Vortrag von PD Dr. Hans-Joachim Hahn, Gastprofessor für Jüdische Kulturgeschichte
Shakespeares literarische Figur Shylock aus seinem »Der Kaufmann von Venedig« ebenso wie der im christlichen Volksbuch popularisierte Ahasver stellen wirkmächtige Fantasien christlicher Autoren in der Frühen Neuzeit dar. Als kulturelle Imaginationen prägten sie die christliche Vorstellung von Juden in ihrer Zeit neu und entfalteten eine langandauernde, ambivalente Wirkung, die im modernen Antisemitismus schließlich fatale Folgen nach sich zog. Für beide frühneuzeitlichen Figuren gilt zudem, dass sie sowohl von christlichen als auch von jüdischen Autor*innen und Künstler*innen adaptiert wurden, die die antijüdischen Aspekte der Figuren umzuschreiben versuchten. Dies lässt sich ebenso für die Figur des Golem zeigen, der über die deutsche Romantik und die jüdische Folklore schließlich Eingang in die US- amerikanische Populärkultur fand.
Der Vortrag geht den Ambivalenzen dieser und weiterer populärer ›Kippfiguren‹ in einer kulturgeschichtlichen Betrachtung christlich-jüdischer Wechselverhältnisse vom ausgehenden 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach.
Bild: Schauspieler Ermete Novelli als Shylock; Titelbild der Zeitschrift „The Theatre“, Ausgabe 43, September 1904