Das Unsagbare der Shoah

Vortrag von Prof. Dr. Vivian Liska, Antwerpen

Die Unmöglichkeit, der Einzigartigkeit der Shoah sprachlich gerecht zu werden und die damit einhergehenden Imperative des Schweigens wurden zur Evidenz von Jean-François Lyotards Diktum, dass die Katastrophe auch noch die Instrumente gesprengt hätte, mit denen ihr Ausmaß gemessen werden können. Dem Unsagbaren wohnt zweifellos eine unermessliche diskursive Macht inne.

Zu den zahlreichen Paradoxa der Rede vom Unsagbaren gehört allerdings, dass dieses – als absolute Leere und Fülle zugleich – in langen und reichhaltigen Traditionen steht: religiös in der apophatischen Sprache der negativen Theologie, literarisch in der Sprachlosigkeit des tragischen Helden, psychologisch in der Aphasie des traumatischen Schocks. Die Sedimente dieser Traditionen färben unweigerlich das angerufene Schweigen und tragen semantische Korrelate mit, die der Intention der Rede vom Unsagbaren der Shoah entgegengesetzt sind: sie lösen das Spezifische auf, verleihen dem Sinnlosen Sinn und ästhetisieren das Grauen.

Anstatt vor der Bewältigung durch Sprache zu bewahren, riskiert das Unsagbare in Rechtfertigung zu münden oder transgressive Provokationen herauszufordern, die der Banalisierung und dem Zynismus das Wort reden. Als Abwehr gegen totalisierende Unsagbarkeit und dreisten Tabubruch gilt es, Annäherungen an die Shoah zu erkunden, die dem Geschehen gerade dort gerecht werden, wo sie sich kraft der Sprache und in der minuziösen Arbeit an ihr die Ausflucht ins Unsagbare verwehren.

Vivian Liska ist Professorin für deutsche Literatur und Direktorin des Instituts für jüdische Studien an der Universität Antwerpen, seit 2013 ist sie Distinguished Visiting Professor an der Hebrew University, Jerusalem. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Deutsche Literatur der Moderne, Literaturtheorie sowie deutsch-jüdische Denker und Autoren. Sie ist unter anderem Herausgeberin der Buchreihe »Perspectives on Jewish Texts and Contexts«, der Zeitschrift »Arcadia« und des »Jahrbuchs der Gesellschaft für europäisch-jüdische Literaturstudien«.

Auf einen Blick

Datum

13.07.2022 | 18.30 Uhr

Ort

Innenstadt
Festsaal der Synagoge

EINTRITT

5,00 | 3,00 € ermäßigt

ANMELDUNG

Per Mail an empfang@jmaugsburg.de oder unter 0821 51 36 11.

IN KOOPERATION MIT  PROF. DR. BETTINA BANNASCH, PROFESSUR FÜR NEUERE DEUTSCHE LITERATURWISSENSCHAFT AN DER UNIVERSITÄT AUGSBURG

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