Gerichtsprozesse über den Talmud im Habsburger- und im deutschen Kaiserreich
Vortrag von George Y. Kohler, Gastprofessor für jüdische Kulturgeschichte an der Universität Augsburg
Die recht unbekannte, aber sehr aufschlussreiche Geschichte von jüdischen Verleumdungs-Klagen gegen moderne Talmudkritik (August Rohling etc.) am Ende des 19. Jahrhunderts, die aber natürlich von den deutschen und österreichischen Gerichten kaum ohne Experten-Gutachten entschieden werden konnten, so dass hier die spannende politische Konstellation entsteht, in der einerseits Juden vielleicht zum ersten Mal ihre religiösen Rechte gerichtlich einklagen konnten (mit Hilfe deutscher Staatsanwälte), andererseits aber diese Gutachten selbst (von akademisch gebildeten „Doktor-Rabbinern“, eines sogar von Hermann Cohen erstellt) konfliktgeladene Texte wurden, denn natürlich enthält der Talmud tatsächlich die abwertenden Äußerungen gegenüber nicht-Juden, die ihm vorgeworfen wurden. Der Vortrag untersucht exemplarische drei Prozesse und die darin abgegebenen Gutachten.
Dr. George Y. Kohler ist Professor für neuzeitliche jüdische Religionsphilosophie und Direktor des Joseph-Carlebach-Instituts an der Bar Ilan Universität in Ramat Gan, Israel. Seine Forschung konzentriert sich auf das deutsch-jüdische Denken im 19. Jahrhundert, auf die theologischen Schriften der Wissenschaft des Judentums und auf jüdisch-christliche Debatten im selben Zeitraum. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Aufsätzen zu diesen Themen hat er 2012 eine Monographie zur Wiederentdeckung der Philosophie des Maimonides im jüdischen Denken des 19. Jahrhunderts veröffentlicht, 2013 eine kommentierte Quellensammlung zur modernen Transformation des jüdischen Messianismus und 2019 eine Studie zu den Anfängen der Kabbalah-Forschung in der Wissenschaft des Judentums.
Im Sommersemester 2021 hat Herr Prof. Dr. Kohler die Gastprofessur für Jüdische Kulturgeschichte an der Universität Augsburg inne.